Alternativmedizin in einem biomedizinischen Kontext
Die Hinwendung zu alternativmedizinischen Praktiken wird oft verstanden als eine Rückbesinnung auf eine Medizin der Vergangenheit, um einer Kritik an der rationalen modernen Medizin Ausdruck zu verleihen. Dieser Anspruch das „Alte“ zu repräsentieren, ist in der Selbstdarstellung der Alternativmedizin ein wichtiger Moment, der als Legitimation herangezogen wird für eine Einordnung als besondere Therapierichtung, die sich oftmals einer wissenschaftlichen Belegbarkeit entzieht.
Dieses Projekt möchte ein anderes Licht auf das Thema der Alternativmedizin werfen und die Frage nach ihrer Institutionalisierung im 20. Jahrhundert und den damit einhergehenden Veränderungen stellen. Untersucht wird die Verschiebung der gesellschaftlichen Rolle von Alternativmedizin vom Gegenmodell zum etablierten Mainstream, dazu, selbst Teil des „Etablierten“ zu sein und dabei Abstriche und Kompromisse machen zu müssen, um die aufgebauten Institutionen zu bewahren. Besonders die identitätsstiftende Grenze zur „Schulmedizin“ verschwimmt im Untersuchungszeitraum immer wieder auf der Suche nach einem Verhältnis, das Annäherung und Zusammenarbeit zulässt bzw. das als Minimalgrundlage dient, um alternativmedizinische Methoden im Gesundheitswesen zu verankern.
Wie bestimmt sich eine Alternativmedizin, wenn sie gar keine „Alternative“ mehr ist? Welches Verhältnis wird zwischen einem romantischen und einem rationalen Naturverständnis gefunden, wenn Biomediziner und Heilpraktiker zusammenarbeiten? Welche Spannungsgebiete zeigen sich? Aber vor allem: Welche gemeinsamen Standpunkte werden gefunden? Das Projekt bearbeitet diese Fragen anhand von Fallstudien der im Gesundheitswesen institutionalisierten Alternativmedizin. Besonders die Spannung zu biomedizinischen Idealen, Instrumenten und Institutionen soll dabei in den Blick genommen werden, um klarer zu verstehen, welche Beziehung zwischen diesen augenscheinlich entgegengesetzten Feldern besteht und in welchem Bedingtheitsverhältnis sie zueinanderstehen.